Zeilen, Reim, Strophe, Gedicht
Zeile, Reim, Strophe, Gedicht:
Burga Endhardts klingendes Riesenpoem
Es gibt laute, machtvolle, pathetische, die Überwältigung suchende Kunst. Sie tritt auf mit Aplomb. Sie ruft: “Achtung!“, „Jetzt!‘“, „Hier!“ – Behutsamkeit ist ihre Sache nicht.
Und es gibt leise, introvertierte, lyrische, die Vergewisserung suchende Kunst. Sie tritt beobachtend auf. Sie erklärt ohne Nachdruck: „Ich biete Euch etwas an. Ich habe mir ein Bild gemacht. Schaut mal. Vielleicht überzeugt Euch das.“ Das Überreden und Einwickeln ist die Sache dieser Kunst nicht.
In welche dieser zwei Kategorien, neben denen selbstverständlich noch andere existieren, die Kunst der Burga Endhardt fällt, ist unschwer für den zu erkennen, der solch eine Überblicksschau ihres Werk betrachtet, wie sie nun in der Städtischen Galerie von Wertingen zu sehen ist. Zart tastend entwickelt sich dieses Werk aus sich selbst heraus – ein anderes, ein weiteres, ein neues Universum schaffend zum gewiss heiklen Terminus „Schönheit“.
Diese Wertinger Überblicksschau hätte in Gänze auch andere Arbeiten Burga Endhardts vorstellen können. Doch geblieben wäre dabei zweifelsfrei deren Merkmal einer einfühlsamen, hochsensiblen Spurensicherung. Die Skizzierung, Markierung, achtsame Ausarbeitung liegt Burga Endhardts Oeuvre weit näher als der Wurf auf Papier und die Behauptung auf Leinwand. Indizien sprechen dafür, dass genau diese Achtsamkeit nicht ungelenkt vorliegt als Ergebnis: Burga Endhardt, Tochter eines Kirchenmalers, erlernte zunächst in St. Ursula von Augsburg das Handwerk des Paramentenstickens, also des diffizilen künstlerischen Gestaltens on Messgewändern, Kirchenfahnen, liturgischen Textilien. Auf die Struktur des Trägergewebes galt es – beispielsweise mit Seidengarn – die Strukturen von Verzierungen zu setzen; auf das Gefüge des Trägermaterials war andersartig musterhaft zu antworten. Worauf noch zurückzukommen ist … Zur Praxis des Aktzeichnens in jungen Jahren trat bei Burga Endhardt das 1991 abgeschlossene Studium an der Münchner Akademie der Bildenden Künste bei Gerhard Berger hinzu – ein Weg, der zunächst vor allem zu abstrahierend figurativen Arbeiten führen sollte, wie sie in dieser Schau – räumlich zusammengefasst – als älteste und erstmals gezeigte Mischtechnik-Arbeiten zu betrachten sind. In erdigen, vorwiegend dunklen Tönen kreisen sie 1996 – als Burga Endhardt mit ihrem dritten Kind schwanger ging – ahnungsvoll um Existenzielles, denkbar offen jedoch in Deutungsfragen hinsichtlich Motivik und Textur.
In späteren Jahren trat das Figurative in den Hintergrund beziehungsweise in einen Transformationsprozess: Aus dem Messgewand, das Burga Endhardt einst stickte, wurde ein langes, schwer erscheinendes Kleid, dicht mit Graphit auf Transparentpapiere aufgetragen, die zuvor durch die Nässe zartester Wasserfarben strukturiert, wellig, reliefhaft aufgeworfen wurden. Von Fragmenthaftem bis hin zum kompletten, gleichsam plastischen Schattenriss eines tiefschwarzen und gleichzeitig metallisch glänzenden Gewandes von .. natürlichem‘“ Faltenwurf reicht die Variantenbreite, die gesteigert wird durch den Blickwinkel der Betrachter, durch unterschiedliche Perspektiven. Dass sich Assoziationen zu Engeln, Engelsflügeln, vielleicht auch zur Nike von Samothrake einstellen können, macht diese Graphitarbeiten von 2017/2018 – ebenfalls zusammengefasst in einem Raum – noch bedeutsamer; erst recht in Verbindung zur großen kompakten, auratischen Installation . .Spiegelnd liegt der Weg‘“ [2014]. Diese Arbeit mit dem Erscheinungsbild einer Zeichnungsbahn wächst in ihren Dimensionen, in ihrer Struktur, in ihrer Reflexion von Licht über sich selbst hinaus. Noch ein thematisch in sich geschlossener Raum ist Graphitblättern Burga Endhardts gewidmet – Graphitblätter jedoch, die nicht mit der undurchdringlichen glänzenden Verdichtung des Kohlenstoffminerals auf Transparentpapier arbeiten, statt dessen licht gezeichnet sind, mit feinem Strich – und gleichzeitig, ingeniös, durch verwischendes Ausradieren eben dieses feinen Strichs. Bewegte, ephemer scheinende Strukturen entstehen derart, und wer darin Naturhaftes vermutet, der liegt richtig: Die größte dieser Graphit-Zeichnungen zeigt ein „Ufer““, an dem Schilf in leichter Wasserströmung bei vibrierender Luft schwankt. Nicht realistisch, nicht naturalistisch, sondern schraffierend abstrahiert. Burga Endhardt zeichnet jene Strukturen, die Schilf, Wasserströmung und Lichtflirren bedeuten können; sie zeichnet gewissermaßen die Metapher von einem „Ufer“.
Richtet sie hierbei – wie so oft – den Blick auf das Detail, so sind ihre großen Eitempera- oder Ölmalereien auf Leinwand weit mehr dem Landschaftsausschnitt oder gar dem Panorama verpflichtet. Abermals gilt: Strukturen und Formen schaffen eine Idee, ein Gleichnis von Berg, von See, von Wolken – oder wie in den vier „Winter“‘-Bildern eine Idee, ein Gleichnis von Schnee, Fels. Grasnarben. Es ist wieder ein metaphorischer Eindruck, der das Bild konstituiert, nicht das Abbild einer Winterlandschaft. So werden aus Naturlandschaften behutsam geformte, lyrische Mallandschaften vor zartesten Hintergründen – oder, wie in jenen Malereien, die in Folge eines Brasilien- und Uruguay- Aufenthalts im Jahr 2015 entstanden sind, wuchernde Farbkräfte. Doch auch im größeren Format sucht Burga Endhardt die Auseinandersetzung mit dem naturnahen, organischen Detail: Ohne sie bei ihrem biologischen Namen nennen zu können, wachsen auf Leinwand auch Geflechte, Gekröse, Wurzelwerk, Ouallenballungen, Faserknäuel. Als vegetatives Prinzip, keineswegs als Lehrnsicht.
Bleibt noch der überaus wesentliche Werkkreis der sogenannten .“Tagebuch“-Blätter, dem ein letzter Extraraum gewidmet ist. Über viele Jahre hinweg hat Burga Endhardt nahezu täglich ein Diarium auf Din A4-Papier geführt – zeichnerische, malerische Notate, die drei Hauptgenres der visuellen Kunst behandelnd: Mensch, Landschaft, Stillleben. Es sind Hunderte von Blättern, verwahrt übrigens heute in einem geschichtsträchtigen ehemaligen Pfarrhof-Dienstschrank mit Fächern unter anderem für „Ehesachen“, „Armenpflege“, „Kirchenfonds·“, „Pfarrpfründe“ sowie „Familien- und Seelenbeschrieb“. Zusammen ergeben diese „Tagebuch“-Blätter das abgerundete Weltbild einer Künstlerin, die strukturiert, voller Disziplin und Fleiß erkundete, was die Natur im Innersten zusammenhält. Der realen Welt setzte Burga Endhardt ihre eigene Sicht auf die Dinge und ihr Gefüge und ihre Kräfte von Anziehung und Abstoßung entgegen.
In ihrer Gesamtheit gehören diese – ohne Worte denkend – beschriebenen Blätter aus mehr als zwei Jahrzehnten zum Schönsten und Delikatesten, was uns Burga Endhardt mit ihrem inneren Auge hinterlassen hat. Jede dieser feinfühligen Zeichnungen, jede dieser empfindsamen Malereien eine lyrische Zeile der Andeutung und Annäherung, zwei Blätter ein Reim, vier Blätter eine Strophe, drei Strophen ein Gedicht. Das Ganze aber ein klingendes Riesenpoem, ein Universum beobachteter, festgehaltener Liebe. Burga Endhardt machte intuitiv, erahnend, reflektierend sichtbar, was erst einmal nur wahrzunehmen uns schon schwer fällt.
Rüdiger Heinze